„Unsere Branche gewinnt und verliert durch Digitalisierung gleichermaßen“

Das mit Alexander Koch, Senior Vice President Corporate Controlling bei der Österreichischen Post AG, gehaltene Interview wurde im Rahmen des Schwerpunkts „Business meets Technology“ durchgeführt und gehört zu einer Reihe von Artikeln und Beiträgen der Joshua Consulting GmbH zum Thema Digitalisierung und Predictive Analytics. Zu entdecken: in den Infoboxen gibt es relevante Querverweise zu der Joshua Consulting Studie „Digitalisierung in der österreichischen Unternehmenspraxis“ (2021).

Wie geht Ihr Unternehmen mit der Digitalisierung um?

Digitalisierung ist für mich generell eine schwierige Begrifflichkeit. Wenn es in meinem Wirkungsbereich rund um die Bereitstellung von steuerungsrelevanten Informationen geht, so sind wir dabei auf vielen Ebenen daran zu arbeiten. Wir verknüpfen Finanzdaten mit operativen Daten, wir versuchen Datenströme auf täglicher, teils sogar auf near real-time bereit zu stellen. Wir wagen uns schrittweise in Richtung Predictive vor.

Welche Trends gibt es zur Digitalisierung in Ihrer Branche? 

Unsere Branche gewinnt und verliert durch Digitalisierung gleichermaßen. Die Substitution von physischen Briefen wird teilweise durch den Boom im E-Commerce Bereich, den Transport von Paketen und die Services drumherum kompensiert. Jegliche elektronische Substitution im Kommunikations- und Werbebereich stellt uns vor die Herausforderung noch effizienter zu wirtschaften.

In welcher Hinsicht hat die Digitalisierung Ihre Arbeit bzw. Ihren Alltag schon erleichtert?

Nicht jeder Prozess ist digitalisiert einfacher. Wenn die klassische Unterschriftenmappe durch eine ähnlich komplizierte digitale Lösung abgelöst wird, ist keinem geholfen. Wenn dies gleich als Anlass genommen wird, den Prozess und die Verantwortlichkeiten zu hinterfragen, dann war die Digitalisierung der richtige und ein wichtiger Trigger. Zudem müssen wir ja auch Nebenkosten wie z.B. IT Security mitkaufen. Auch das gibt es nicht gratis.

Auf welche Bereiche würden Sie persönlich bei der Digitalisierung besonders stark fokussieren? Wo stiftet sie Ihrer Meinung nach keinen Mehrwert?

Jegliche Form von Einzelwissen mit Machine Learning anzureichern – an das glaube ich. An der einen Stelle wird der „War for Talents“ ausbrechen und Prozesse müssen auf bereits hergerichteten Daten aufbauen. An der anderen Stelle werden Aufgaben durch weniger qualifizierte Mitarbeitende substituiert werden müssen. Diese brauchen Handlungsanleitungen, um ihre Tätigkeit kundenorientiert und optimal ausführen zu können. Die Digitalisierung kann hier bei der Verallgemeinerung von Wissen helfen.

Haben Sie sich schon einmal mit Predictive Analytics auseinandergesetzt? Wann und in welchem Kontext haben Sie zum ersten Mal davon gehört und wie haben Sie darüber gedacht?

Ja, wir waren Early Mover. Trotz intensiver Überzeugungsarbeit, ausreichender Use Cases, vielen Lippenbekenntnissen sind wir an der Kultur jedoch kläglich gescheitert. Wir sind beim zweiten Anlauf und diesmal wird es bestimmt was.

Wer hat in Ihrem Unternehmen den Anstoß zur Nutzung von Predictive Analytics gegeben?

Ausgegangen ist die Initiative von unserer IT-Abteilung. Mit dem Konzerncontrolling gab es dann einen Schulterschluss. Den Nutzern war das Abfragen des Wissens einzelner Experten wichtiger als dieses zu konservieren.  Der Testlauf war gut. Die Weiterentwicklung hätte weitere Anstrengungen aller Beteiligten bedurft und da waren einfach die Geduld und der Atem nicht lang genug.

Was waren die Erwartungen, die Sie und Ihr Unternehmen vor der Einführung an Predictive Analytics hatten?

Die Erwartung war ein fertiges Produkt zu bekommen, das wartungsfrei den Weg in die Zukunft weist. Jede Fehlvorhersage wurde dem Prognosemodell angelastet und hat die Experten bestätigt, dass der Mensch an dieser Stelle der Maschine überlegen ist. Den Menschen kann man dann auch immer fragen: „und warum ist das jetzt so.“ Und der gibt dann auch immer eine Antwort. Die Maschine fairerweise nicht.

Wir hatten kaum Schwierigkeiten bei der Bereitstellung von qualitativen Daten. Dennoch mussten wir in manchen Bereichen erst damit starten, Massendaten so zu speichern, dass sie über einen längeren Zeitraum sinnvoll verarbeitbar waren. Die Rollenverteilung und das Kooperationsmodell der Key Player, der Meinungsbilder sowie Expert*innen sind meiner Meinung nach entscheidend und vorab zu klären.

In welcher Form und für welche Tätigkeiten nutzen Sie bzw. planen Sie Predictive Analytics einzusetzen?

Es geht bei uns vorrangig um die Vorhersage unserer Verarbeitungsmengen, die an vielen Stellen den Personaleinsatz und letztlich die Qualität der Leistungserbringung bestimmen.

In welcher Hinsicht hat Predictive Analytics Sie am meisten überrascht?

Dass es Menschen gibt, die so professionell mit Prognosen umgehen können. Für einen Controller ist das schon oft die edle Form des Blicks in die Glaskugel. Es ersetzt zwar kein Business-Verständnis, professionalisiert jedoch die Instrumente.

Hat sich Predictive Analytics für Sie und Ihr Unternehmen gelohnt?

Kurzfristig sind wir gescheitert. Langfristig – so hoffe ich – haben wir eine wichtige Lernkurve mitgenommen.

Wie sieht Ihrer Ansicht nach die Zukunft von Predictive Analytics aus?

Es muss zu einer Kultur der Koexistenz zwischen Predictive Analytics und Expert*innenwissen kommen. Ist die Zusammenarbeit einmal nicht von den Fragen geprägt, ob mein Job gefährdet ist oder die Erkenntnis von mir persönlich stammt, dann schaffen wir den Sprung zu einem guten Miteinander. Schrittweise wird Predictive Analytics in vielen Bereichen Einklang finden. Ich denke, man muss nur für jedes Unternehmen herausfinden, wo der größte wirtschaftliche Hebel ist und dort einfach einmal anfangen.

Was würden Sie Unternehmen raten, die vor der Einführung einer Predictive-Analytics-Lösung stehen bzw. eine Einführung in Erwägung ziehen?

Ich würde raten, sich die Frage zu stellen, in welchem Bereich das wichtigste Betätigungsfeld gegeben ist. Wo die größte, ehrliche Bereitschaft ist, diesen Schritt zu gehen. Wo sich die Widerstände Einzelner am leichtesten beseitigen lassen. Und wie sichergestellt ist, dass die Modelle laufend weiterentwickelt werden. Nur so wird man die besten Köpfe an Land ziehen, sowie auch halten können.

Wie schätzen Sie generell die zukünftige Entwicklung der Digitalisierung ein? Wird ihre Bedeutung für Unternehmen (in Ihrer Branche) noch weiter steigen oder haben wir bereits den Gipfel der „Digitalisierungswelle“ erreicht?

Mir selbst ist das Wort Digitalisierung fast zu mächtig. Ich denke, wenn man bestrebt ist, möglichst alle Prozesse gemäß echter Verantwortungszugehörigkeit und sinnvoller Wertschöpfung zu automatisieren, kommt man an der Digitalisierung ohnehin nicht vorbei. Dabei muss man ehrlich zu sich sein, was man sinnvoll leisten kann. Wenn man glaubt, einfache analoge Prozesse durch verkrampft nachgebaute, digitalisierte Prozesse zu ersetzen, hat man auch nichts gewonnen. Der beste Weg ist, beim wichtigsten Prozess zuerst anzusetzen. Und mit einer großen Vision hineinzugehen. Nachlassen kann man immer noch. Bei der Fülle an Angebot und dem Push an Tools der IT-Beratungshäuser ist es oft nicht einfach herauszufinden, was für einem selbst das Vorrangigste ist.

Vielen Dank Alexander Koch für Ihre pointierten, wertvollen Inputs aus Ihrer Unternehmenspraxis.

Weitere Informationen zur Studie „Digitalisierung in der österreichischen Unternehmenspraxis“ finden Sie hier.

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